Wolnzach Asyl – „In Bayern wird kein Asylbewerber auf der Straße erfrieren“

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Projektionsfläche Lokalpolitik – „Warum ist Frau Merkel noch im Amt“

Pulsfühlen in Sachen Asyl. Nach der von der Zuschauerbeteiligung als zurückhaltend zu bezeichnenden ersten Asyl-Bürgerversammlung in Geisenfeld, spürte man am 2. November nun bei 200 Wolnzachern im Hopfenmuseum den Pulswellen nach. Womit die Verantwortlichen nicht gerechnet hatten: Die Ausschläge waren enorm!

Zu wenig Stühle, zu wenig Respekt und Anstand aber enorm viel diffuses Empörungspotenzial. Damit wären die knapp 200 Minuten einer sehr lebhaften Bürgerversammlung am 2. November 2015 in Wolnzach kurz und vereinfachend umschrieben. Wobei diese Charakterisierung nur den Publikumszuspruchs und die Wortmeldungen aus der Tiefe des Veranstaltungsraumes beträfe.

Wir leben in einem Rechtsstaat“ versuchte der Landtagsabgeordnete Karl Straub(CSU) die von einigen Besuchern zum Teil derb vorgetragenen „Lösungsvorschläge“ zu relativieren. Wenn man ihn als Privatperson fragen würde, könne er sich schon vorstellen, einen Bus mit in Bayern angekommenen Asylbewerbern zur weiteren Verteilung nach Berlin auf die „große Wiese des Reichstages“ zu schicken. Doch, und hier sind wir wieder beim Rechtsstaat und geltenden Verteilungsquoten, „den würden wir sofort wieder zurückbekommen„.

Obwohl man sich in der bayerischen Staatsregierung sehr wohl bewusst sei, das „man in Berlin anscheinend nicht in der Lage sei, die enorme Belastung Bayerns in der Flüchtlingsfrage richtig einzuschätzen„, müsse man für die täglich über die bayerische Grenze drückenden Flüchtlinge trotz der ineffizient agierenden Bundespolitik in Bayern dem Gebot der Stunde folgen, und den hier Ankommenden ein Dach über den Kopf bieten.
In Bayern wird kein Asylbewerber auf der Straße erfrieren“, verdeutlichte Straub den Anwesenden den humanitären Subtext im Asylparagrafen 16a des deutschen Grundgesetzes.

Betonte Wolzachs Bürgermeister Jens Machold zu Beginn der Bürgerversammlung in seinem Eingangsstatement „die differenzierte Betrachtungsweise der Wolnzacher Bürger in den vorrangegangenen Bürgerversammlungen“ und die dort zum Thema Asyl geäußerten „positiven Wortbeiträge“ die gezeigt haben, dass „unsere Bevölkerung auf einem ganz anderen Weg ist“ als anderswo, zeigte der Verlauf der Veranstaltung das genaue Gegenteil.

Hatte eine fremde Macht dem Bürgermeister heimlich seine Marktgemeindebürger ausgetauscht?

Macholds Aufforderung, die im Saal anwesenden Wolnzacher mögen hinsichtlich der Asylsituation in Wolnzach „alles ganz offen anreden [ansprechen], wie wir zu vernünftigen Konzeptionen kommen können“ war bereits verhallt, noch bevor er sein Mikro abgelegt hatte.

Keine, die Betonung liegt auf K E I N E einzige, der in den anschließenden 3 Stunden vorgebrachte Frage, Anschuldigung oder Meinung aus dem Publikum betraf die örtliche Situation. Die Publikumsreaktionen bezogen sich größtenteils auf das als Versagen empfundene Politikgebaren in Berlin, unfreiwillig artikulierte Egoismen und offenbarten in ihrer Deftigkeit ein beunruhigendes Toleranzdilemma gepaart mit -noch milde ausgedrückt- erodiertem Demokratie- und Staatsverständnis.

Alles von unserem Geld“, „was des kostet“, „einfach zu machen“ oder „warum ist die Frau Merkel noch im Amt“ und „warum haben Asylbewerber keine Haftpflichtversicherung“.

Wie schon bei der ersten Bürgerversammlung in Geisenfeld offenbarte sich auch in Wolnzach das große Manko dieser Bürgerversammlungen: Die hinter dem Tisch des Landratsamtes sitzenden Experten, Helfer und örtlichen Politiker sind angetreten, um Rede und Antwort zur Asylsituation im Landkreis und der Gemeinde vor Ort zu stehen. Doch die Gemeindebürger kamen mit überzogenen Erwartungen und wollen, ganz generell, Dampf ablassen und vom falschen Personenkreis die Lösung verkorkster europäischer und bundesrepublikanischer Asylpolitik geboten bekommen.

Bemüht sich dann Landrat Wolf, die Auswirkungen der Flüchtlingsquoten für den heimischen Landkreis und die Gemeinden mit aktuellen Zahlen zu erläutern, darf er sich an eine Wirtshausdiskussion erinnert fühlen, wenn ihm ein „dua koan Krampf erzähln“ entgegen gebrüllt wird.

Nennt der Landtagsabgeordnete Straub die im bayerischen Staatshaushalt für den Doppelhaushalt 2015/2016 vorgesehenen Asylkosten von 3,2 Milliarden Euro, geht ein Raunen durch den Raum. Das sei ja Geld, das an anderer Stelle für die staatliche Daseinsvorsorge der Bürger fehlen werde. Um sich kurz darauf der Forderung erwehren darf, der Staat solle doch für Asylbewerber die Kosten für eine Haftpflichtversicherung übernehmen. Denn, verursache der „Nichtversicherte“ Asylbewerber, zum Beispiel mit einem Fahrrad einen Schaden, bliebe man als Privatmann auf seinen Kosten sitzen.

Das dies oftmals auch bei nichtversicherten Deutschen Schadensverursachern der Fall sei, konnte der Chef der Polizeiinspektion Geisenfeld, Norbert Bachmaier aus eigenem Erleben beisteuern. Weder könne man jemand zu einem Versicherungsabschluss zwingen, noch beteilige sich der Staat an Aufwendungen, für im Übrigen der Lebenswirklichkeit von Asylbewerbern wiedersprechender „Rundum Sorglos“ Mentalität.

(Gleichzeitig wurde, wie schon zuvor in Geisenfeld, auch in Wolnzach ein Gerücht abgeräumt: Von Harz IV Empfängern verursachte Schäden werden ebenfalls von keiner Behörde übernommen).

Oftmals hilflos geraten aber auch die Einlassungen des bei seiner Argumentation unstrukturiert wirkenden Abgeordneten Straub, wenn er sich in Halbsätzen verliert und am Ende seiner Redebeträge ein ums andere Mal betont, kein „rechter“ zu sein, da er eine Beschränkung der Flüchtlingsströme fordert. Zur Ehrenrettung und der Fairness halber darf man dabei aber auch nicht unterschlagen, dass er, als Mitglied des Bayerischen Landtags und somit gefühlter Erklärer der bayerischen Regierungspartei CSU die meist beschäftigte Person der bisherigen Bürgerversammlungen ist.

Als Beobachter auch dieser Bürgerversammlung würde man es gerne verdrängen, doch die Redlichkeit verbietet das Versteckspiel:
Das mulmige Gefühl, sich inmitten stark verunsicherter Mitbürger, aber auch engagiert handelnder lokaler Politiker und freiwilliger Helfer zu befinden, deren einziger Handlungsspielraum darin besteht, abzuwarten, ob bisher quacksalbernde Bundes- und Europapolitiker die Herausforderung meistern, oder wir doch eines Morgens in einer so nicht gewollten Republik erwachen werden.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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